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„Nobody´s perfect“ – Film über ,,Contergan-Kinder“

Niko von Glasow dachte sich, dass auch körperlich behinderte Menschen endlich einmal Hurra schreien müssten. Und das ganz öffentlich, mit der Nase im Wind sozusagen, um sich selbst an einen Pranger zu stellen und den Blicken endlich nicht mehr auszuweichen  – sondern sie zu umarmen.

„Nobody´s perfect“ ist ein Film über ein sensibles, aber durchaus robustes, Thema, nämlich der körperlichen Behinderung. Konkret geht es um das Portrait von zwölf Menschen, die Opfer des Contergan-Skandals wurden. Ein Medikament, welches in den 50er Jahren verstärkt vertrieben wurde und mehr als 5000 behinderte Babys in Deutschland zur Welt brachte. Dies ist jedoch nur eine geschätzte Zahl, weltweit waren es wohl noch viele mehr. 2700 Menschen haben überlebt. Sie wurden in eine Welt hinein geboren, in der das Wort ,,Barrierefreiheit“ erst noch erfunden werden musste. Sie waren nicht behindert, sie waren ,,falsch“.

Der Pharmakonzern Grünethal brachte ein neues Medikament (Contegan) auf den Markt, um Frauen bei ihrer Schlaflosigkeit zu helfen, denn diese war zur damaligen Zeit nicht ,,angesagt“. Frauen waren ja immerhin nun berufstätig und Schlaflosigkeit deshalb ein Makel. Weit verbreitet hieß es, dass die ,,Hilfe“ völlig ungiftig und harmlos sei, weshalb Contegan bald genauso häufig im Nachtschränkchen zu finden war wie Hustensaft.

Es hat eine Weile gedauert, bis der Zusammenhang zwischen behinderten Babys und Contegan deutlich wurde, aber das Medikament kam nicht drum herum sich für tausende von behinderten Säuglingen zu verantworten. Es war ein Schock. Eine glatte Gesellschaft sah sich überfordert, damit fertig zu werden. Eltern mussten nach der Geburt stundenlang darauf warten, bis sie ihr Baby sehen durften, die Krankenschwestern wussten einfach nicht, was sie tun sollten, ignorierten das seltsam aussehende Häuflein Leben erst einmal, in der Hoffnung, sie hätten sich nur verguckt und eine Stunde später sei alles ,,normal“ an seinem angestammten Platz vorhanden. Viele Kinder kamen ins Heim. Hartgesottene Mütter brachten ihr Baby aus Verzweiflung sogar um und in England forderte man den ,,Gnadentod“ für diese Neugeborenen, so, als ginge es hier um ein Reh am Straßenrand, welches man angefahren und dort liegen gelassen hätte.

Es hat Jahre gedauert, bis der Schock überwunden worden war und sich langsam heraus kristallisierte, dass diese Rehlein ganz normale Kinder sind. Kinder mit Einschränkungen, aber sie lachen, sie weinen, sie toben und sie wollen all das, was gesunde Kinder auch wollen. Jetzt beginnt die Neugierde, diese, die kalte Gänsehaut auf dem Rücken verursacht. Man starrt, man glotzt und man hat Mitleid. Vielleicht. Vielleicht ist man auch einfach nur entsetzt oder sogar wütend. Denn es ist eine Zeit, in der Ästhetik wichtig ist. Polierte Oberflächlichkeiten dienen als Indikatoren für das ,,richtige“ Leben. Was das genau ist, diese Frage lasse ich mit hoch gezogener Augenbraue unbeantwortet. Und dann waren da diese Kinder, ohne Arme oder ohne Beine, sie bewegen sich auf seltsamer Weise fort und sie sind alles Mögliche, vor allen Dingen normal, nur eines eben nicht: gesellschaftskonform ästhetisch. Wie dreist von den Kleinen, sich nicht anzupapssen! Das alles ist mittlerweile Jahrzehnte her, aus Kindern sind Erwachsene geworden, oftmals überaus erfolgreiche. Sie haben gelernt, mit Füßen zu schreiben oder auf Händen zu laufen. Prothesen lehnten viele schon in Jugendzeiten ab. ,,Wozu auch? Ich bin ja nicht behindert. Nur anders.“ Genau.

,,Ich suche behinderte Leute wie mich, die bereit sind, sich auszuziehen.“, flötet der behinderte Regisseur leichthin. Denn: Er ist einer von ihnen, dieser Von Glasow mit der Idee, in einem Film die Behinderungen regelrecht zu zelebrieren, auch als Behinderter Lust an dem Zuschaustellen des eigenen Körpers zu empfinden, sie gar zu propagieren. Besonders als Contegan-Opfer, die mit dem aufgedrückten Stempel aufwachsen mussten, eben nicht schön zu sein. Sondern missgebildet. Unförmig. Unvollständig. Darauf hat der Mann noch eine Antwort parat, eine lautstarke. Mit viel Herz, Humor und Intelligenz ging der Filmemacher ans Werk und schaffte ein Kunstwerk von Film, welcher nichts beschönigt, sondern ganz authentisch von dem Leben der behinderten Menschen erzählt. Wie sie lieben, wie sie altern und wie sie sich mit der eigenen Behinderung angefreundet haben.

Herausgekommen ist zusätzlich ein Kalender, der ganz anders erzählt, als der Feuerwehrsanzugbekluftete Muskelprotz oder die schöne Blondine, die sich nackt im Sand wälzt. Anstatt leere Hülsen zu präsentieren, schaffte der Mann die Dokumentation von wahrer Schönheit, die bekanntlich ja von innen kommt. Menschen haben Ecken und Kanten und an diesen stößt der Kalender sich, während er die Versehrtheit hingebungsvoll liebt. Heute haben wir die Freiheit, schön zu finden, was wir schön finden möchten. Und mit der Freiheit haben wir die Fähigkeit erlernt, verborgene Dinge sichtbar zu machen. Eine innere Schönheit nach außen zu stülpen. Wie ein Lächeln, welches hinter vorgehaltenen Händen passiert und plötzlich in einem befreiten Lachen mündet. Genau diese Kunst zieht sich wie ein roter Faden durch den Film, der auch vor ungemütlichen Fragen keinen Halt macht:
,,Welcher Körperteil bereitet dir am meisten Kopfzerbrechen?“
,,Mein Bauch.“
,,Nicht weiter unten?“
,,Nö. Mein Penis ist okay.“

Mutig werfen die zwölf Protagonisten sich in die Herausforderung Film, mutig wird vom Leben als versehrter Mensch erzählt, wie es wirklich ist. Nicht einfach, aber unbedingt schön. Und immer lebenswert. Die ,,Contegan-Opfer“ – die schon lange keine mehr sind – kitzeln an der Seele des Zuschauers,wie sie ihre Verletzbarkeit offen zeigen, mit einem Lächeln auf den Lippen und Leichtigkeit im Herzen, die Spaß macht und ansteckt. Ergreifend und berührend. Denn stimmt, niemand ist perfekt. Auch wir ,,Normalen“ sind es nicht und könnten uns hier mal eine kleine Scheibe von abschneiden.

Die Antwort des Regisseurs ist eine gelungene.

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